Publikation: Monitoring der genetischen Diversität nimmt Formen an

Die neuste Ausgabe der Zeitschrift HOTSPOT befasst sich mit der Überwachung der Biodiversität und stellt laufende und neue Projekte, Programme und Technologien vor. Unsere Pilotstudie ist mit einem Artikel über unsere Arbeit und über die Herausforderungen, die ein Monitoring der genetischen Diversität mit sich bringt, vertreten.

Die Zeitschrift HOTSPOT wird auf Deutsch und Französisch publiziert und kann bei scnat frei heruntergeladen werden. Kurzlink zur Ausgabe: https://scnat.ch/de/id/Yxw5h

Publikation: Selektion von Arten und Populationen für ein Monitoring der genetischen Diversität

Ein neues IUCN-Handbuch führt durch die Entscheidungs- und Evaluationsprozesse, die beim Aufbau eines Monitorings der genetischen Diversität anfallen. Ausserdem unterstützt es bei der Identifikation der am besten geeigneten Arten und Populationen. Das Handbuch richtet sich an Praktiker aus dem Bereich Naturschutz und enthält verschiedene Fallstudien, darunter auch unsere Pilotstudie für ein genetisches Monitoring in der Schweiz. Link zur Publikation: https://doi.org/10.2305/IUCN.CH.2022.07.en

Erfolgreiche Sammelstrategie

Mit der ergänzenden Probenahme des Baldrian-Scheckenfalters Melitaea diamina wurde die Feldsaison 2022 erfolgreich abgeschlossen. Die gesammelten Proben der fünf Arten verteilen sich – entsprechend ihren Lebensräumen – über die ganze Schweiz und alle biogeografischen Regionen. Die Probenahme umfasst mehr als 1200 Individuen aus 158 Populationen.

Beprobte Populationen und biogeografische Regionen der Schweiz

Die für die Probenahme spezifisch entwickelte Sammelstrategie (proportional stratified random sampling) hat sich dabei bewährt: der Klimaraum, d.h. die für eine Art geeignete bzw. erwartete Spanne von Temperatur und Niederschlag, wird bei allen Arten gut abgedeckt.

Verteilung der bekannten (grau) sowie der beprobten (rot) Populationen aller fünf Studienarten im Klimaraum Schweiz.
Quelle: Oliver Reutimann, ETH Zürich

Ausserdem wurden durch die Zufallsauswahl Gebiete mit unterschiedlicher Grösse, Qualität und Vernetzung beprobt.

Beispiel Scheiden-Wollgras: In der Studie wurden sowohl grosse, geschützte Hochmoore als auch kleine oder isolierte Flächen berücksichtigt.
Bildquellen: Martin C. Fischer, ETH Zürich

Publikation: Verlinkung verschiedener nationaler Monitorings der genetischen Vielfalt

Im neuen Fachbeitrag im Journal of Applied Ecology wurden die Erfahrungen unserer Pilotstudie für ein Monitoring der genetischen Vielfalt zusammen mit anderen Ansätzen zum Monitoring innerartlicher genetischer Vielfalt verglichen und zusammengefasst. Die Publikation zeigt die internationale Bedeutung des Monitorings genetischer Vielfalt und ist mit diesem Link im Journal of Applied Ecology öffentlich zugänglich.

Ergänzende Probenahme 2022

Nach der grösstenteils erfolgreichen Probenahme bei allen fünf ausgewählten Arten im 2021, werden dieses Jahr noch die fehlenden Baldrian-Scheckenfalter, Melitaea diamina, Population beprobt. Zusätzlich werden für das retrospektive Monitoring der genetischen Vielfalt 200 kontemporäre Populationen des Scheiden-Wollgrases, Eriophorum vaginatum, beprobt. Diese werden möglichst an den gleichen Herkunftsorten wie die 200 historischen Proben aus Sammlungen und Museen gesammelt. Im Moment werden die mehr als 200 historischen Eriophorum und 200 Melitaea Proben im Clean-Lab bearbeitet und bald sequenziert.

Aufgrund des regnerischen und kühlen Wetters im Frühling und Sommer 2021 konnten einige Populationen des Baldrian-Scheckenfalters nicht erfolgreich beprobt werden. Es werden darum dieses Jahr 10-15 Populationen des Baldrian-Scheckenfalter, mehrheitlich im Osten der Schweiz, nach-beprobt. Die Sammelpunkte wurden hierfür spezifischer ausgesucht, um die Chance auf Sammelerfolg im zweiten Versuch zu erhöhen. Da der Baldrian-Scheckenfalter auch retrospektiv untersucht wird, also zusätzlich zu den rezenten Proben auch Proben aus Museen mit möglichst dem gleichen Herkunftsort untersucht werden, wurden die Sammelpunkte zu diesem Zweck leicht optimiert, ohne aber unsere proportionally stratified random sampling Strategie zur beeinträchtigen. Denn es ist wichtig, dass der Fundort des historischen und heutigen Materials möglichst nah beieinander liegen, da ansonsten geografische und nicht zeitliche Unterschiede der genetischen Diversität erfasst werden.

Sammelpunkte für den Baldrian-Scheckenfalter. Grüne Punkte: Erfolgreiche Probennahme 2021, rote Punkte: Nachbeprobung 2022

Für die retrospektive Analyse des Scheiden-Wollgrases (Eriophorum vaginatum) werden rund 200 Populationen beprobt. Ziel ist es zu jedem ausgewählten Herbarbeleg, welche zwischen 70 und 150 Jahre alt sind, eine Population möglichst nahe am historischen Fundort zu beproben. Die Schwierigkeit dabei ist es die ca. 100 jährigen Flurbeschreibungen auf den Etiketten der Herbarbelege den heutigen Flurbeschreibungen auf den Karten zuzuordnen und potentielle Fundorte auszusuchen an denen eine Chance besteht, die Art heute noch aufzufinden und zu beproben. Dies ist vor allem schwierig, wenn sich die Landschaft menschenbeding stark verändert hat. Mit dem in diesem Jahr beprobten Populationen und den ca. 100 jährigen Herbarbelegen sollte es möglich sein, Analysen durchzuführen, die Aufschluss darüber geben ob bestimmte lokal angepasste Pflanzen besonders in Bedrängnis geraten sind. Dies ist besonders im Hinblick auf den massiven Verlust der Habitate des Scheiden-Wollgrases (überwiegend Hochmoore) relevant, der in den letzten Jahrhunderten vorwiegend im Mittelland stattgefunden hat. Zudem sollte es möglich sein, festzustellen ob sich die genetische Diversität in dieser Art im untersuchten Zeitraum verändert hat.

Für jeden der rund 200 Herbarbelege des Scheiden-Wollgrases werden 2022, möglichst nahe am ursprünglichen Sammelort, Proben einer Population des Scheiden-Wollgrases gesammelt.
Für jeden Herbarbeleg des Scheiden-Wollgrases wurde zum angegebenen Flurnamen den möglichst genau zutreffenden Ort auf den heutigen Karten gesucht. Hier im Beispiel konnte der angegebene Flurname «Prantin» so auf den heutigen Karten gefunden werden.

Resultate Probenahme 2021

Karte mit den Sammelpunkten der fünf Arten der Pilotstudie

Die Beprobung der fünf Arten war trotz eines feucht-kalten Frühjahrs und eines trüben Sommers vergleichsweise erfolgreich.

Karte mit den Sammelpunkten der fünf Arten der Pilotstudie
Die verschiedenen Sammelorte der Kartäusernelke (Dianthus carhusianorum), der Goldammer (Emberiza citrinella), der Kreuzkröte (Epidalea calamita), des Scheiden-Wollgras (Eriophorum vaginatum) und des Baldrian-Scheckenfalter (Melitaea diamina) sind dargestellt.

Anfangs April 2021 starteten die Teams der Vogelwarte mit der Beprobung der Goldammer (Emberiza citrinella). Sie beprobten im Zeitraum von zwei Monaten rund 120 Vögel. Die geplante Zahl von 150 Proben wurde nicht erreicht, weil das Fangen der Vögel durch den kalten und feuchten Frühling erschwert wurde. Trotzdem wurden Vögel in 23 der 30 geplanten Sammel-Quadrate gefangen.

Die über die Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz (karch) engagierten Expert*innen sammelten zwischen Anfang April und Ende Juli 2021 in 28 der 30 geplanten Quadrate, insgesamt rund 150 Proben der Kreuzkröte (Epidalea calamita) in Form von Embryonen oder Kaulquappen . Oft mussten auf Ersatzquadrate ausgewichen werden, weil zum einen die Kreuzkröte als Pionierart einen sich ständig ändernden Lebensraum besiedelt, aber sie auch eine der wenigen Amphibienarten in der Schweiz ist, bei welcher die Bestände immer noch abnehmen.

Etwas mehr als 220 Baldrian-Scheckenfalter (Melitaea diamina) wurden, in 22 der 30 geplanten Quadrate, von verschiedenen Umweltbüros zwischen Mitte Juni und Mitte August 2021 gesammelt. Das regnerische Wetter und starke Hagelstürme, welche die Vegetation in einigen Untersuchungsgebieten weitgehend zerstörten, erschwerten die Arbeit der Sammelnden und schränkten die Anzahl sonniger Tage ein, an denen die Schmetterlinge flogen und beprobt werden konnten.

Von Anfang Juni bis Anfang August 2021 beprobten die Umweltbüros erfolgreich 30 Populationen und 300 Individuen des Scheiden-Wollgrases (Eriophorum vaginatum). Zweimal kam ein Ersatz-Sammelquadrat zum Einsatz, da die Art an der vorgesehen Lokalität entweder nicht mehr oder in zu geringer Anzahl vorkam.

Die Beprobung der Kartäusernelke (Dianthus carthusianorum) durch die Umweltbüros war ebenfalls erfolgreich. Es wurden 31 Populationen und 330 Individuen beprobt zwischen Ende Mai und Anfangs Juli 2021. Sechs Ersatz-Sammelquadrate kamen zum Einsatz; häufig in Regionen, in welchen die Kartäusernelke künstlich angesät wurde.

Die random stratified proportional Sammelstrategie hat sich als sehr effizient erwiesen und wir haben den Klima-Raum der einzelnen Arten sehr gut abgedeckt, wie man in der untenstehenden Figur am Beispiel des Scheiden Wollgras gut erkennen kann. Die zufällig beprobten Individuen und Populationen (rote Punkte) decken sehr gut den erwarteten Klima-Raum (graue Punkt) ab. Der Klima-Raum deckt auf der X-Achse den Bereich von tief und hoch gelegenen Regionen ab, wie man an der Jahrestemperatur erkennen kann, und auf der Y-Achse regenreichen und regenarmen Regionen.

Klimatischer Raum von Eriophorum vaginatum (graue Punkte) mit den Zuordnungen der gesammelt Proben (rote Punkte)
Die zufällig beprobten Individuen und Populationen des Scheiden Wollgras (Eriophorum vaginatum), (rote Punkte) decken sehr gut den erwarteten klimatischen Raum (graue Punkte) ab. Auf der X-Achse sind tief bis hoch gelegenen Regionen abgebildet, wie man an der Jahrestemperatur erkennen kann, und auf der Y-Achse der Bereich von regenarmen bis regenreichen Regionen.

Die Arbeiten für die retrospektive Analysen mit den Museumsproben laufen zurzeit. Die DNA von Proben, die älter als 40 Jahre sind, ist im Vergleich zu DNA aus frisch gesammelten Proben stark fragmentiert, meist kürzer als 70 Basenpaare, und beschädigt, was sie sehr anfällig für Kontaminationen durch neue und frische DNA von Menschen oder anderen im Labor bearbeiteten Proben macht. Dadurch ist der Einsatz von modernsten Reinraumlabors erforderlich, wie sie am Institut für Evolutionäre Medizin (IEM) der Universität Zürich verfügbar ist. Das Reinraumlabor verfügt über alle notwendigen Geräte für die verschiedenen Phasen der Analyse alter DNA, darunter ein Überdrucksystem, ein UV-Sterilisationssystem und mehrere isolierte Arbeitsplätze, an denen das Forschungspersonal mit Ganzkörperschutzausrüstung arbeitet. Nur dank dieses vorsichtigen Ansatzes sind die Gewinnung und Sequenzierung von DNA aus Belegexemplaren auf zuverlässige Weise möglich und rechtefertig die Beprobung der wertvollen Herbar- oder Sammlungsexemplare. Zurzeit werden im Reinraum je ca. 200 Belegexemplare des Scheiden-Wollgrases und des Baldrian-Scheckenfalters aus Schweizer Sammlungen bearbeitet.

Für die retrospektive Analyse werden Samples vom Baldrian-Scheckenfalter und dem Scheiden-Wollgras aus Sammlungen im Clean lab bearbeitet. Nur so ist die Gewinnung und Sequenzierung von DNA auf zuverlässige Weise möglich und rechtefertig die Beprobung der wertvollen Herbar- oder Sammlungsexemplare.

Für die retrospektive Analyse werden Samples vom Baldrian-Scheckenfalter und dem Scheiden-Wollgras aus Sammlungen im Clean lab bearbeitet. Nur so ist die Gewinnung und Sequenzierung von DNA auf zuverlässige Weise möglich und rechtefertig die Beprobung der wertvollen Herbar- oder Sammlungsexemplare.

Die Erstellung dDie Erstellung der Referenzgenome der fünf Arten sind weit vorgeschritten und dank neuer Sequenziertechnologien (PacBio HiFi Reads und OMNI-C Scaffolding) hat die Qualität der Referenzgenome unsere Erwartungen übertroffen. Die meisten Genome sind beinahe auf Chromosomen-Level assembliert. Dies gilt sogar für die Kreuzkröte, welche das grösste Genom der fünf Arten hat. Mit 3.8 Milliarden Basenpaaren ist es sogar grösser als das menschliche Genom.

Auch dieses Jahr warten grosse Arbeiten auf uns. Die DNA der 1’120 gesammelten Proben wird extrahiert, sequenziert und bioinformatisch ausgewertet. Zusätzlich gehen die Arbeiten bei den Proben aus den Museen weiter. Nach der Extraktion und der Sequenzierung der DNA werden auch diese Daten bioinformatisch analysiert.

Retrospektive Analysen

Baldrian-Scheckenfalter, Melitaea diamina, in der Entomologischen Sammlung Zürich.

Für die retrospektive Analyse konnten für das Scheiden-Wollgras über 700 und für den Baldrian-Scheckenfalter über 1’000 Belege in Sammlungen in der Schweiz — von Genf bis Basel — gefunden werden. Jeder Beleg wurde, wo nicht schon gemacht, in eine Datenbank aufgenommen und der Fundort anhand der Originaletikette erfasst und georeferenziert. In einem nächsten Schritt wird nun eine Auswahl der Belege getroffen. Über einen Teil unserer Recherchen zu Sammlungsbelegen des Baldrian-Scheckenfalters ist gerade kürzlich ein Bericht verfasst worden und in der der ETH Zeitschrift GLOBE veröffentlich worden: https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2021/06/stumme-zeugen.html

Baldrian-Scheckenfalter, Melitaea diamina, in der Entomologischen Sammlung Zürich.
Baldrian-Scheckenfalter, Melitaea diamina, aus der Entomologischen Sammlung Zürich. © Martin C. Fischer